Der Klimawandel in den Alpen: Ein Thema, das die Menschen in Österreich umtreibt. Über 200 Gäste kamen am 8. Oktober zur 12. Ausgabe des Diskussionsformats „Umwelt im Gespräch“ in die Kuppelhalle des Naturhistorischen Museums Wien (NHM), um sich über die Folgen des Klimawandels in den Alpen zu informieren und auszutauschen.

Mit dem Publikum diskutierten Glaziologe und Klimaforscher Georg Kaser (Universität Innsbruck), Doris Hallama, Vizepräsidentin für den Bereich Hütten und Wege des Österreichischen Alpenvereins, die Wirtschaftssoziologin Valentina Ausserladscheider und Biodiversitätsforscher Stefan Dullinger (beide ECH, Universität Wien). Georg Kaser hielt den Impulsvortrag zum Thema „Der Klimawandel ist da – wie geht es weiter?“. NHM-Generaldirektorin Katrin Vohland eröffnete die Veranstaltung, gefolgt von Ansprachen der Vizerektorin der Universität Wien Manuela Baccarini und ECH-Co-Leiter Thilo Hofmann.

Von links nach rechts: Valentina Ausserladscheider, Thilo Hofmann, Stefan Dullinger, Doris Hallama und Georg Kaser | © Aaron Kintzi/ECH
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Die Highlights der Veranstaltung zum Nachsehen

Wider die Bequemlichkeit im Denken, im Sprechen, im Handeln 

„Beim Klimawandel ist es wichtig, miteinander statt übereinander zu reden“, konstatierte Katrin Vohland, Generaldirektorin des NHM, in ihrer Eröffnungsrede. Der Dialog mit der Öffentlichkeit müsse stets aktiv gehalten werden. Dies sei besonders nach den jüngsten Wahlergebnissen in Österreich entscheidend, „gerade in einer Zeit, in der diejenige Partei erfolgreich war, die sich weigert, über den Klimawandel im Gespräch zu bleiben“, führte sie aus. 

Vohland hob hervor, dass Formate wie „Umwelt im Gespräch“ dazu beitragen sollen, nicht nur Problembewusstsein zu schaffen, sondern auch Lösungsansätze zu diskutieren, mit all ihren Herausforderungen und Auswirkungen. „Fatalismus würde uns nur lähmen“, sagte sie und plädierte eindringlich dafür, die eigene Komfortzone zu verlassen. Bequemlichkeit im Denken, Sprechen und Handeln sei angesichts der großen Herausforderungen des Klimawandels fehl am Platz. 

Interdisziplinäre Forschung als Schlüssel  

Manuela Baccarini, Vizerektorin für Forschung und Internationales der Universität Wien, betonte die bedeutenden Veränderungen, die der Klimawandel in den Alpen als Hochgebirgsregion bewirkt. „Er verändert die Alpen als Ökosystem, Landschaft, Naherholungsgebiet und als Wirtschaftsfaktor“, erklärte sie. Der Klimawandel in den Alpen sei ein Paradebeispiel für die komplexen Herausforderungen, denen sich die Gesellschaft stellen müsse. An der Universität Wien sei man sich dieser Herausforderungen bewusst und erforsche die Auswirkungen des Klimawandels aus unterschiedlichen Perspektiven. 

„Interdisziplinäre Forschung ist der Schlüssel zur Bewältigung solcher komplexen Probleme“, hob Baccarini hervor, „Forschung, wie sie im Forschungsverbund Umwelt und Klima der Universität Wien betrieben wird.“ Denn nur durch ein tiefes Verständnis der laufenden Veränderungen und deren Ursachen sei es möglich, die künftigen Entwicklungen abzuschätzen und gezielt Maßnahmen zu ergreifen, um ihnen entgegenzuwirken.

Katrin Vohland, Generaldirektorin des NHM | © Aaron Kintzi/ECH
Manuela Baccarini, Vizerektorin der Universität Wien | © Aaron Kintzi/ECH

Herausforderungen und Perspektiven… 

Thilo Hofmann, Co-Leiter des Forschungsverbunds Umwelt und Klima (ECH), eröffnete den Abend mit einem eindringlichen Blick auf den Zustand der heimischen Alpen und die weitreichenden Folgen des Klimawandels. Es gehe nicht nur um Schnee oder das Schmelzen der Gletscher, die Herausforderungen, die der Klimawandel mit sich bringe, seien noch umfassender. „Das Auftauen des Permafrosts, der Meeresspiegelanstieg und der Biodiversitätsverlust sind weitere drängende Probleme“, so Hofmann. 

Der Abend solle sich daher auch denjenigen Themen widmen, die über die Alpen hinausgingen: Dürren, Hitzewellen, Extremwetterereignissen und dem Verlust biologischer Vielfalt – und, „nicht zu vergessen: die menschliche Dimension“, wie Hofmann betonte. 

…auch für Wirtschaft und Tourismus

 Damit sprach Hofmann einen zentralen Punkt an, der in der folgenden Diskussion vertieft wurde: Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Menschen in den Alpen und den Wirtschaftsmotor Tourismus. Während der Wintertourismus vielen Regionen in Österreich aus bitterer Armut geholfen habe, bliebe die Frage: „Wie lässt sich die Identität einer ‚Skination Österreich‘ mit dem Wissen vereinbaren, dass Skigebiete unter 2000 Metern in naher Zukunft möglicherweise nicht mehr zu retten sind?“ 

Hofmann stellte zentrale Überlegungen zur Zukunft des Tourismus als Wirtschaftsfaktor an: „Wie kann man Nachhaltigkeit mit Wirtschaftlichkeit neu verbinden? Wie könnte eine nachhaltige Zukunft, die die Menschen ernährt, in den Alpen aussehen?“ In diesem Zusammenhang betonte er die wichtige Rolle der Klima-, Umwelt-, Wirtschafts- und Biodiversitätsforschung, die gemeinsam die wissenschaftliche Grundlage zur Entwicklung alternativer Konzepte liefern könnten: „Ein ‚Weiter so‘ kann es nicht geben – doch wie können die Alternativen aussehen?“ 

Thilo Hofmann, ECH-Co-Leiter | © Aaron Kintzi/ECH
Thilo Hofmann, ECH-Co-Leiter | © Aaron Kintzi/ECH

Keynote: Der Klimawandel ist da – wie geht es weiter?  

Eine alpine Sommerlandschaft ohne strahlend weiße Gletscher – laut aktuellen Prognosen ist dies kein bloßes Gedankenexperiment mehr. Im Einführungsvortrag von Georg Kaser, Glaziologe und Klimaforscher sowie Professor Emeritus der Universität Innsbruck, standen der globale Rückgang der Gletscher und seine weitreichenden Folgen im Zentrum.  

Kaser, der Mitautor mehrerer Berichte des Weltklimarats (IPCC) ist, begann damit, den Klimawandel im Vergleich zu natürlichen Klimaschwankungen einzuordnen und auf die Bedeutung von Emissionsszenarien hinzuweisen. „Mittlerweile sind wir schon bei fast 1,5 Grad über dem vor-industriellen Niveau. Was wir da erleben, hat nichts mehr mit Schwankungen am Gleichgewicht zu tun, sondern es ist ein Wandel. Das ist eine totale Verschiebung des energetischen Grundzustandes der Erde“, betonte er. Solche Temperaturanstiege hätten früher Jahrtausende gedauert, heute geschehe dies in nur 150 Jahren. „Wir sind äußerst erfolgreich darin, die Erde aufzuheizen“, so Kaser 

Der Klimaforscher erläuterte weiter die Trägheit der Klimasysteme und skizzierte anhand dieser Faktoren mögliche Zukunftsszenarien. In diesem Kontext zeigte er die potenziellen Entwicklungen der Gletscher weltweit auf und verdeutlichte deren Auswirkungen auf den Meeresspiegelanstieg. „Der weltweite Masseverlust der Gletscher ist dramatisch, kleine Gletscher verschwinden vollständig, größere zerfallen zunehmend“, erklärte Kaser. Selbst hochgelegene Gletscher auf über 4000 Metern Höhe hätten im Sommer 2021 bis zu vier Meter Eis eingebüßt – bedingt durch eine längere Periode mit Temperaturen über dem Gefrierpunkt.  

Durch die eindringliche globale Perspektive und seine detaillierten Analysen wurde deutlich, welche weiteren Klima-Zukünfte uns noch erwarten. 

Auf die Publikumsfrage, wo Klimapolitik denn ansetzen müsse, hatte Kaser eine deutliche Antwort: Der schnellste Hebel sei es, große Finanzströme umzulenken und Subventionen, die in die „falsche Richtung“ gingen, d.h. Förderungen für fossile Energien, abzuschaffen. Eine langfristigere Strategie sei die Investition in Bildung und Aufklärung der Bevölkerung: „Wir müssen wieder begreifen, wo unser Maß ist “, so Kasers Appell.  

Georg Kaser, Glaziologe und Klimaforscher | © Aaron Kintzi/ECH
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Der Impulsvortrag von Georg Kaser zum Nachsehen

Biodiversität als komplexes Kartenhaus 

Auch die alpinen Ökosysteme unterliegen durch die Klimaerwärmung gravierenden Veränderungen. Dies führe zu einem Artenwandel und der Verschiebung der Verbreitungsgebiete zahlreicher Tier- und Pflanzenarten. „Die Schneegrenze verschiebt sich um etwa 20 Höhenmeter pro Jahrzehnt“, erklärte Biodiversitätsforscher Stefan Dullinger (ECH, Universität Wien). Der Schnee werde weniger, die Vegetation dichter und grüner – eine Entwicklung, die vielen Organismen zunehmend Schwierigkeiten bereite. „Ein weiß gefärbtes Schneehuhn hat schlechte Karten, wenn es versucht, sich auf einem braunen Untergrund vor Greifvögeln zu verstecken“, brachte Dullinger das Problem anschaulich auf den Punkt. 

Dieser Artenwandel sei systematisch und betreffe weite Teile der Alpen. Arten, die in tieferen Lagen vorkommen, wanderten in höhere Regionen, während Spezialisten der höchsten Lagen immer seltener würden. Dies beeinflusse auch die Populationsgrößen: Arten aus niedrigeren Regionen würden häufiger, während jene der höchsten Lagen im Rückgang begriffen seien. 

Im Zusammenhang mit der Biodiversitätskrise, die eng mit dem Klimawandel verbunden ist, spielten auch die sogenannten Ökosystemdienstleistungen eine entscheidende Rolle. Dullinger betonte, dass intakte Ökosysteme in den Alpen wesentlich zur Stabilisierung von Hängen, zum Schutz vor Lawinen und zur Trinkwasseraufbereitung beitrügen. Wie sich der Verlust an Biodiversität auf diese Dienstleistungen auswirke, sei jedoch schwer vorherzusagen, da die ökologischen Systeme äußerst komplex seien. „Das Ökosystem ist wie ein riesiges, kompliziertes Kartenhaus. Man kann einige Karten entfernen, ohne dass etwas passiert – zieht man jedoch die falsche, kann ein großer Teil des Kartenhauses in sich zusammenbrechen“, warnte Dullinger. Viele Tier- und Pflanzenarten hätten eine Funktion, deren Verlust wir bisher noch nicht abschätzen könnten. 

Stefan Dullinger (Mitte) in Diskussion mit Valentina Ausserladscheider (links), moderiert von Marlene Nowotny (rechts) | © Aaron Kintzi/ECH
Stefan Dullinger, Professor für Botanik und Biodiversitätsforschung | © Aaron Kintzi/ECH

Alpenverein vor wachsenden Herausforderungen 

“Wir spüren die rasche Veränderung des Klimas im Gebirge sehr deutlich“, erklärte Doris Hallama, Vizepräsidentin des Österreichischen Alpenvereins für den Bereich Hütten und Wege. „Prozesse und Wechselwirkungen sind komplex, aber eines ist sicher: Die Probleme, vor allem hinsichtlich der Infrastruktur, werden größer – sowohl kurzfristig als auch in Zukunft”, so Hallama weiter. Der Klimawandel verändere die Arbeit des Alpenvereins stark. Besonders in ihrem Verantwortungsbereich, der Instandhaltung von Hütten und Wegen, seien die Auswirkungen spürbar. „Wir sind bereits intensiv konfrontiert mit Wasserknappheit durch Hitzewellen, Trockenheit und die schwindenden Gletscher, die sonst als natürliche Wasserspeicher fungieren. Auch der auftauende Permafrost bereitet uns an vielen Standorten große Probleme.“ 

Darüber hinaus machten zunehmende Extremwetterereignisse wie Starkregen und Felsstürze die Instandhaltung noch schwieriger. „In den letzten Wochen haben Hangrutsche Wege zerstört, teilweise sogar Hütten beschädigt. Diese Instabilität des Wetters wird mehr und mehr auch zum Problem für Wanderer, bringt sie in Gefahr und eröffnet für den Alpenverein neue rechtliche Herausforderungen,“ so Hallama. Der Alpenverein müsse seine Arbeit daher zunehmend an neue klimatische Realitäten anpassen.

Doris Hallama, Vizepräsidentin des Alpenvereins, im Gespräch | © Aaron Kintzi/ECH
© Aaron Kintzi/ECH

Klimaschutz als Wirtschaftsinteresse  

Ob Skifahren auf Gletschern im Sommer und der Einsatz von Schneekanonen angesichts der Klimakrise das „vernünftige Maß“, wie Kaser es forderte, nicht überschreite, war eine Frage an die Wirtschaftssoziologin Valentina Ausserladscheider (ECH, Universität Wien). Die Wissenschaftlerin beschäftigt sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf den österreichischen Tourismus und erklärte die Hintergründe dafür, warum noch keine grundlegenden Transformationsmaßnahmen ergriffen worden seien: „Man sollte nicht unterschätzen, welches identitätsstiftende und kulturelle Moment der Wintersport und speziell das Skifahren für die ‚Ski-Nation Österreich‘ hat“, so Ausserladscheider. Darüber hinaus handele es sich um lange gewachsene Wirtschaftsstrukturen, die man nicht so schnell verändern könne. Die Menschen in den Skiregionen seien jedoch keine Klimawandelleugner, so die Forscherin, „es gibt genügend Studien, die zeigen, dass das Bewusstsein da ist.“ Doch oft würden entweder individuelle Zwänge, wie der Kredit bei der Bank oder die Auswirkungen größerer Krisen wie Pandemie oder Rezession als stärkere Bedrohung wahrgenommen als der Klimawandel. „Dass der Klimawandel jedoch da ist, es im Wintertourismus ein Umdenken und einen grundlegenden Transformationsprozess geben muss und wie dieser aussehen könne, „damit beschäftige ich mich in meiner Forschung“, erklärte Ausserladscheider. „Klimaschutz sollte Wirtschaftsinteresse werden“, schlussfolgerte sie, denn dann würden Transformationsprozesse angestoßen, die das wirtschaftliche Überleben der Menschen in den in Zukunft gefährdeten Wintertourismusregionen sichern könnten.

Neue Narrative nötig 

In der Schlussrunde wurde die Frage diskutiert, warum das Bewusstsein für die drohenden Folgen des Klimawandels in Österreich so wenig ausgeprägt sei, wie auch das Ergebnis der Nationalratswahl vom 29. September gezeigt habe. 

Thilo Hofmann brachte die Umweltpsychologie als möglichen Lösungsansatz ins Spiel: Vor dem Hintergrund der Wahlen in Österreich, aber auch der in Ostdeutschland müssten wir uns fragen „wie nehmen wir die Menschen mit?“ Langfristig sei eine Investition in Aufklärung und Bildung unverzichtbar, obwohl die Zeit dafür eigentlich nicht mehr ausreiche. Kurzfristig müssten Wirtschaftsmodelle angepasst werden, sodass Konzerne Klimaschutz als wirtschaftliches Interesse erkennen, um weiterhin handlungsfähig zu bleiben. 

Zentral sei es auch, so Hofmann, neue Narrative zu entwickeln: Auch wenn die Gewissheit der kommenden Klimakatastrophe bedrückend sei, gelte es, dennoch konstruktive und positive Zukunftsszenarien zu entwerfen. Nur so könnten die Menschen aktiviert werden, ihnen Handlungsoptionen aufgezeigt und sie aus dem Gefühl der Lähmung und Ohnmacht befreit werden. Evidenzbasierte Empfehlungen für diese Handlungsoptionen könne die Wissenschaft liefern. So wünschte sich Georg Kaser zum Abschluss der Diskussion ein Treffen von Wissenschaftler*innen und Politiker*innen „irgendwo, ganz geheim, ohne Zeugen oder Medien, damit die Politik der Wissenschaft einmal richtig zuhört.“

Valentina Ausserladscheider im Gespräch | © Aaron Kintzi/ECH
© Aaron Kintzi/ECH

Moderation: Marlene Nowotny  

Graphic Recording: Kathrin Gusenbauer, Irrlicht-Impressions 

Nachbericht: Nora Gau (ECH-Redaktionsleitung) 

🛈 Das nächste Umwelt im Gespräch

„Schadstoffe in Lebensmitteln: Kleine Dosis, welche Wirkung?“

6.5.2025, 18:00-20:00h im Naturhistorischen Museum

Graphic Recording

© Kathrin Gusenbauer