Bei der festlichen Auftaktveranstaltung des ECH am 8. März sprach Klimaforscher Stefan Rahmstorf in seiner Keynote über „Die Klimadebatte – Zwischen Wissenschaft, Querdenkern & Populisten“.

Nora Gau (Redaktionsleitung ECH) traf Stefan Rahmstorf zum Interview. 

ECH-Redaktion: Herr Rahmstorf, Sie sind einer der renommiertesten Klimatologen, zählen mit ihrer Forschung weltweit zu den führenden Ozeanographen und Paläoklimatologen. Sie haben erst Physik studiert, dann physikalische Ozeanographie. Wann hat die Begeisterung für Ihr Forschungsthema eigentlich begonnen?

Stefan Rahmstorf: Tatsächlich schon sehr früh: Ich bin als Kind in Holland aufgewachsen und die Nordsee hat in mir die Begeisterung für das Meer geweckt. Als ich dann später Physik studiert habe, bin ich drauf gestoßen, dass man damit auch Meeresforschung betreiben kann. Es war sogar ein konkretes Buch, das mich fasziniert und darauf gebracht hat: „The Drama of the Oceans“ von der Seerechtsexpertin und Ökologin Elisabeth Mann Borgese aus dem Jahr 1975. Beim Lesen dachte ich, wow, das ist eigentlich ein tolles Forschungsthema und habe dann begonnen physikalische Ozeanographie an der University of Wales in Bangor zu studieren.

ECH-Redaktion: Als Paläoklimaforscher untersuchen Sie die klimatischen Verhältnisse der erdgeschichtlichen Vergangenheit, um auf Basis dieser Erkenntnisse Aussagen über die Zukunft der Klimaentwicklung auf unsere Erde zu treffen. Was können wir denn von der Eiszeit lernen?

Stefan Rahmstorf: Die vergangenen großen Klimaveränderungen, die die Erde im Lauf der Jahrmillionen erlebt hat, helfen uns zu verstehen, wie und vor allem wie stark unser Klima bisher auf Störungen reagiert hat. Die wichtigste Lehre, die wir daraus für unsere Zukunft ziehen können, ist letztlich die sogenannte Klimasensitivität, die Reaktion auf bekannte Störungen in der Strahlungsbilanz unserer Erde. Die Klimasensitivität gibt an, wie stark die globale Temperatur auf Veränderungen reagiert, beispielsweise wie viel Erwärmung aus einer CO2 Verdopplung folgt. Die Antwort lautet: um die drei Grad.

Zum ersten Mal wurde das Ende des 19. Jahrhunderts durch den schwedischen Nobelpreisträger Svante Arrhenius ausgerechnet. Er kam damals noch auf vier Grad. Heute wissen wir, das Ergebnis liegt zwischen zweieinhalb und vier Grad, so der Unsicherheitsbereich, den wir noch haben. Dass das Klima auch in der Vergangenheit immer heftig auf Störungen der Strahlungsbilanz reagiert hat, das ist eine Lehre aus der Eiszeit. Und dann gibt es noch weitere Lehren, zum Beispiel über die Instabilität der Ozeanzirkulation. Das ist der Hintergrund für die Sorge, dass die Atlantikzirkulation abreißen könnte, weil das in der Erdgeschichte mehrfach passiert ist, zum Beispiel bei der Erwärmung nach der letzten Eiszeit.

ECH-Redaktion: Damit sprechen Sie ein aktuell viel diskutiertes Thema an: Der mögliche Zusammenbruch der Atlantischen Umwälzströmung (AMOC), die für die relativ milden Temperaturen in Europa von großer Bedeutung ist, Sie forschen dazu schon länger: Ist dieser Zusammenbruch noch aufzuhalten und falls nicht, wann wären denn die Auswirkungen für die Welt spürbar?

Stefan Rahmstorf: Wir sprechen bei den Folgen ja davon, was passiert, wenn der Kipppunkt überschritten ist. Wir wissen aber noch nicht, wann und ob der Punkt durch die Erderwärmung überhaupt erreicht wird. Was aber klar ist, ab diesem Punkt liefe die Dynamik dann innerhalb von Jahrzehnten ab. Wir können dieses Risiko jedoch minimieren, wenn wir konsequent das Pariser Abkommen einhalten und mit der Erwärmung möglichst deutlich unter zwei Grad bleiben.

ECH-Redaktion: Und was passiert, wenn wir den sogenannten Kipppunkt überschreiten und die Strömung abreißt?

Stefan Rahmstorf: Wenn die AMOC zusammenbrechen würde, wären die Auswirkungen tatsächlich fatal: Dann käme es zu einer starken regionalen Abkühlung, nicht nur über dem Ozean, sondern auch über Landgebieten in Nordwesteuropa. Die neue Studie der Universität Utrecht, die gerade durch die Medien ging, hat festgestellt, dass es dann an der Küste Norwegens im Winter 20 bis 30 Grad kälter werden könnte.

Aber das ist bei weitem nicht die einzige Folge. Die tropischen Niederschlagsgürtel würden sich nach Süden verschieben. Dann passen diese Niederschlagsgürtel nicht mehr über die Regenwälder, wo sie eigentlich hingehören. Teile der Wälder würden dann vertrocknen oder abbrennen, während es anderswo Starkregen gibt, wo man daran nicht angepasst ist.

Problematisch ist auch, dass sich die Sauerstoff- und CO2-Aufnahme des Ozeans deutlich reduzieren würde, wenn die AMOC versiegt. Denn sie wird ja angetrieben durch Wasser, das bis in 3000 Meter Tiefe absinkt. Wenn das aufhört, bekommt die Tiefsee kaum noch Sauerstoff. Das würde das Ökosystem des Meeres durcheinanderbringen – mit Folgen, die wir jetzt so noch gar nicht absehen können.

Und bei uns in Europa? Weil sich die Temperaturgradienten über Europa massiv verändern würden, würde es in Skandinavien sehr viel kälter, in Spanien aber durch das CO2 viel wärmer. Und es sind gerade diese Temperaturunterschiede, die das Wettergeschehen antreiben.

Fotos © www.markuskorenjak.com

ECH-Redaktion: In Ihrer Keynote sagen Sie, dass sich alle seriösen Wissenschafter*innen einig seien, dass die moderne Erderwärmung zu rund 100 Prozent anthropogen ist, also vom Menschen verursacht. Diese Tatsache scheint aber in der Öffentlichkeit nicht so anzukommen, denn da glauben laut Umfragen viele immer noch, dass 30 Prozent der Wissenschafter*innen anderer Meinung sind. Woran liegt das?

Stefan Rahmstorf: Zum einen liegt das an der Lobbyarbeit der fossilen Energiefirmen und einiger Multimilliardäre, die die so genannten Klimaskeptiker*innen, deren Auftritte und Publikationen finanzieren. Rupert Murdoch beispielsweise pusht mit seinem Medienimperium Aussagen von Klimaskeptiker*innen, mit denen gezielt Zweifel geweckt werden sollen.

Darüber hinaus sehe ich aber auch bei anderen, um Ausgewogenheit bemühten Medien, ein Problem: Sie holen sich immer wieder Skeptiker in Talkshows, obwohl diese keine wissenschaftliche Expertise haben und tun dann so, als sei das eine wissenschaftliche Fachdebatte. Die Mediendebatte ist dann aber eine von Lobbyinteressen gegen seriöse Wissenschaft. Das ist für die Öffentlichkeit eine verfälschende und verwirrende Debatte.

ECH-Redaktion: Sie kritisieren, dass Politik und Gesellschaft die Lösungen der Klimaproblematik nach wie vor verschleppen – wo liegen Ihrer Ansicht nach die Ursachen dafür?

Stefan Rahmstorf: Das liegt auch am Lobbyismus. Aber selbst da hat es in den letzten Jahren eine Verschiebung gegeben: Die Lobbyisten wissen, dass sie den Klimaschutz nicht mehr verhindern können, denn seine Umsetzung ist im Pariser Klimaschutzabkommen von 2016 von praktisch allen Staaten einstimmig beschlossen worden. Aber jetzt ist es ihr Ziel, möglichst lange am fossilen Geschäftsmodell noch zu verdienen und dafür versuchen sie alles, um Maßnahmen und Lösungen hinauszuzögern. Die meisten Politiker*innen sind dann nicht mutig genug für unpopuläre Maßnahmen einzutreten, weil es sie ja Wählerstimmen kosten könnte. Und dann gibt es natürlich auch Parteien, die das gezielt ausnutzen und beispielsweise in Deutschland den Klimaminister verteufeln, weil er ein Heizungsgesetz verabschiedet, laut dem künftig neue Heizungen zu 65% mit erneuerbaren Energien betrieben werden müssen. Solche Maßnahmen sind einfach notwendig, wenn wir klimaneutral werden wollen. Aber es wird dann – auch von einigen Medien – derart skandalisiert, dass Politiker*innen Angst bekommen, so etwas umzusetzen.

ECH-Redaktion: Es ist ja, wie Sie ansprechen, immer ein Zusammenspiel aus Politik und Medien, die eigentlich die Kraft hätten, etwas zu verändern und die Öffentlichkeit aufzurütteln. Wenn Sie Journalist wären, was würden Sie tun, um die Menschen zu erreichen: Eher über positive Lösungsansätze berichten, um gute Stimmung zu machen oder die harten Fakten auf den Tisch legen?

Stefan Rahmstorf: Ich denke, das ist keine Entweder-oder-Frage. Man sollte natürlich über die Fakten und den wissenschaftlichen Kenntnisstand berichten – ohne etwas zu beschönigen. Aber es ist genauso wichtig, verstärkt über Lösungen zu debattieren. Das habe ich mir jahrzehntelang gewünscht. Inzwischen ist es ja zum Glück so weit. Aber auch da sieht man wieder, dass Lobbykräfte ganz viele falsche Narrative pushen: Elektroautos seien angeblich klimaschädlicher als Verbrenner oder anderer Unsinn. Die Lobbytätigkeit der Klimaskeptiker*innen hat sich quasi verlagert vom Bestreiten des Klimawandels an sich hin zum Madigmachen der Lösungsoptionen.

ECH-Redaktion: Ist es Ihrer Meinung nach auch die Aufgabe von Wissenschaftlerinnen, sich Gehör in der Politik zu verschaffen?

Stefan Rahmstorf: Es ist auf jeden Fall die Aufgabe der Wissenschaftler*innen, vor Gefahren zu warnen. Ich erwarte ja auch von einem Arzt, dass er mir sagt „Wenn du weiter rauchst, dann steigt dein Lungenkrebs-Risiko“. Und wir Wissenschaftler müssen es genauso kommunizieren: Die Erkenntnisse sind da, wenn wir weiter CO2 emittieren, wird es wärmer werden, das führt zum Meeresspiegelanstieg, zu Extremwetterereignissen mit all ihren Folgen. Wir Wissenschaftler*innen werden von der Allgemeinheit bezahlt und sollten daher auch im Interesse des Allgemeinwohls agieren. Aufzuklären und zu warnen ist also unsere Pflicht – als Wissenschaftler*innen und Bürger*innen.

ECH-Redaktion: Sie gehen mit Ihren Forschungserkenntnissen stark an die Öffentlichkeit. Warum ist Ihnen der Austausch so wichtig?

Stefan Rahmstorf: Einerseits habe ich schon als Schüler und als Student sehr profitiert von populärwissenschaftlichen Darstellungen, in Büchern oder Zeitschriften. Da hat mich damals die Begeisterung für Wissenschaft einfach gepackt. Und diese Begeisterung für Wissenschaft und das Forschen will ich weitergeben. Aber hinzu kommt natürlich auch, dass ich die Menschen über Gefahren aufklären und vor ihren Folgen warnen möchte.

ECH-Redaktion: Wir feiern heute am 8. März 2024 die Gründung des interdisziplinären Forschungsverbunds Umwelt und Klima (ECH). Inwiefern ist Interdisziplinarität, wie sie auch der ECH betreibt, in Klimafragen besonders wichtig?

Stefan Rahmstorf: Interdisziplinarität ist extrem wichtig, denn Klimawandel ist eben kein Spezialproblem nur einer Disziplin. Die Folgen betreffen letztlich unsere gesamte Lebenswelt: Politik, Gesundheit, Städte, Verkehrsplanung usw. Um Lösungen zu finden, muss man interdisziplinär arbeiten. Mit diesem Anspruch ist ja auch schon 1992 unser Institut gegründet worden, das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Da leben wir das seit Jahrzehnten und das geht eben von Grundlagenforschung über die Mechanismen der Ozeanzirkulation bis hin zur Ausarbeitung konkreter Vorschläge für die Politik, wie man zum Beispiel ein Klimagesetz gestalten könnte.

Daher kann ich die Universität Wien zur Gründung des interdisziplinären Forschungsverbunds Klima und Umwelt nur beglückwünschen, denn hier wird eine Brücke zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit geschlagen. Und genau das brauchen wir im Kampf gegen Populismus und Desinformation rund um Klimathemen.

ECH-Redaktion: Herr Rahmstorf, wir danken Ihnen für das Gespräch.

© Astrid Eckert

Zur Person

Seit über 30 Jahren forscht Stefan Rahmstorf zum Klimawandel und seinen Folgen. Von Hause aus ist er Klima- und Meeresforscher und leitet die Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Seit dem Jahr 2000 hält er die Professur im Fach „Physik der Ozeane“. Zu Rahmstorfs Forschungsschwerpunkten gehören die Paläoklimaforschung, Veränderungen von Meeresströmungen und Meeresspiegel sowie Wetterextreme. Das Thema der globalen Erwärmung behandelt Rahmstorf oft in öffentlichen Vorträgen als Keynote-Speaker oder im RealClimate-Blog, den er mitgegründet hat.  

Und hier in Gänze nachzuschauen: Stefan Rahmstorfs Keynote „Die Klimadebatte – Zwischen Wissenschaft, Querdenkern & Populisten“

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