Schadstoffe in Lebensmitteln – ein Thema, das selten emotionslos diskutiert wird. Zwischen wachsender Sorge über Mikroplastik, Pestizide und sogenannte Ewigkeitschemikalien einerseits und einer immer differenzierteren wissenschaftlichen Bewertung andererseits ist Raum für viele Fragen. Wie riskant sind Rückstände wirklich? Was ist messbar, was spürbar und was wie schnell regulierbar?
Antworten darauf wurden im ECH-Diskussionsformat Umwelt im Gespräch am 6. Mai im Naturhistorischen Museum Wien (NHM) diskutiert. Über 200 Interessierte waren in die prachtvolle Kuppelhalle des NHM gekommen, um mit Vertreter*innen aus der Forschung, aus Behörden und NGOs über Risiken, Regulierungen und Forschungsfortschritte zu sprechen.
Die Highlights der Veranstaltung zum Nachsehen
🛈 Expert*innen im Gespräch
NHM-Generaldirektorin Katrin Vohland eröffnete die Veranstaltung, gefolgt von der Vizerektorin der Universität Wien Manuela Baccarini. Den Impulsvortrag zum Thema „Schadstoffe in Lebensmitteln“ hielt Thilo Hofmann, Professor für Umweltwissenschaften und Co-Leiter des Forschungsverbunds Umwelt und Klima der Universität Wien.
Auf dem Panel diskutierten Thilo Hofmann, Giorgia Del Favero, ECH-Mitglied und Toxikologin an der Universität Wien, Johann Steinwider, Abteilungsleiter für Risikobewertung von Lebensmitteln bei der AGES und Helmut Burtscher-Schaden, Umweltchemiker bei Global 2000.
Moderation: Marlene Nowotny
Im Kreislauf des Lebens
„Wenn Sie die große Prachtstiege hochgehen und an die Decke schauen, dann sehen Sie ein gewaltiges Gemälde, das schon deutlich macht, wie stark der Mensch in die Natur eingebunden ist“, eröffnete NHM-Generaldirektorin Katrin Vohland mit dem Blick auf das Bild Kreislauf des Lebens von Hans Canon den Abend. Das NHM sehe sich als Ort des Austauschs über das Zusammenspiel von Natur und Mensch, so Vohland und eine Diskussion über Schadstoffe in Lebensmitteln und ihre Auswirkungen passe perfekt in diesen Zusammenhang: Denn sie beträfe nicht nur den Menschen, sondern auch Umwelt und Tiere. In diesem Sinne wünschte die Hausherrin dem Publikum einen „erkenntnisreichen und handlungsleitenden Abend“.
Forschung, Kommunikation und gesellschaftlicher Dialog
Manuela Baccarini, Vizerektorin der Universität Wien und Mikrobiologin, betonte die gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaft: „Wir arbeiten daran, Schadstoffe zu identifizieren, zu quantifizieren und Lösungen zu finden. Aber wir müssen auch kommunizieren – Formate wie Umwelt im Gespräch leisten dazu einen wichtigen Beitrag.“ Schadstoffe seien darüber hinaus nicht nur ein Umwelt-, sondern auch ein Gesundheitsproblem. Um ihnen wirksam zu begegnen, brauche es interdisziplinäre Forschung und ein tiefes Verständnis ihrer Herkunft, Wirkung und Wahrnehmung. Der Forschungsverbund Umwelt und Klima (ECH) der Universität Wien vernetze dazu Expert*innen aus Chemie, Biologie, Psychologie, Soziologie und Umweltwissenschaften, national und international. „Er trägt die Erkenntnisse durch Veranstaltungen wie Umwelt im Gespräch in die Gesellschaft“, so Baccarini. Die Universität sei stolz, diesen Austausch zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit aktiv zu fördern.
Impulsvortrag: Zwischen Chemophobie und Faktenlage
Welche Dosis macht das Gift? Wie funktionieren Grenzwerte und Risikobewertung? Und wann wird die Toleranz gegenüber Umwelt und Mensch überschritten? Das waren Fragen, die Umweltwissenschaftler und ECH-Co-Leiter Thilo Hofmann in seinem Impulsvortrag beantwortete. Hofmann begann mit einer Klarstellung: „Schadstoffe in Lebensmitteln – das ist kein angenehmes Thema.“ Auch, weil der Begriff „Chemikalie“ im öffentlichen Diskurs so stark negativ aufgeladen sei. Dabei, so Hofmann, „besteht das ganze Leben, der ganze Mensch, aus Chemie, wenn Sie einen Umweltchemiker fragen.”
„Chemicals are like people, some are good, some are bad, some are in between (Whitcombe, 2019).”
Chemikalien seien nicht per se gefährlich – ebenso wenig wie natürliche Stoffe automatisch harmlos. „Schimmel ist natürlich – und trotzdem hochgefährlich“, erklärte Hofmann. Dennoch sei die Furcht vor synthetischen Substanzen weit verbreitet: „Einige sprechen sogar von einer Chemophobie in weiten Bevölkerungsteilen“ – einer übermäßigen Angst vor synthetisch hergestellten Stoffen.
Diese Furcht sei kein Zufall, so Hofmann in einem kurzen historischen Exkurs. Sie speise sich aus Skandalen, die sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt und das Vertrauen der Menschen in die Pharma- oder Chemieindustrie nachhaltig erschüttert haben: vom Schlafmittel Contergan über den Baustoff Asbest bis hin zum Pestizid DDT. Substanzen, einst gefeiert, später geächtet. „Vom Wundermittel zum Gefahrengut“, nannte es Hofmann. Und selbst heute, im Zeitalter strenger Regulierungen der europäischen Union, bleibe das Vertrauen der Verbraucher*innen in die Sicherheit von Lebensmitteln und Chemikalien fragil. Verstärkt werde das auch durch unzureichende Aufklärung und unausgewogene Medienberichterstattung. Laut Hofmann setzten Medien oft auf Schlagzeilen, die Angst machten, um Aufmerksamkeit zu generieren – auch dann, wenn dafür keine wissenschaftlichen Belege vorlägen. Man könne die Schuld aber auch nicht nur den Medien zuschieben – „die Sache ist schon komplexer“, so Hofmann.
Der Impulsvortrag zum Nachsehen
Vom Wundermittel zum Gefahrengut
Besonders eindringlich wurde Hofmann, als er über die sogenannten Ewigkeitschemikalien sprach – allen voran PFAS, per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen, die in Teflonpfannen ebenso zu finden sind wie in Verpackungen, Outdoorkleidung oder Löschschaum.
Ein spezieller Fall sei Trifluoressigsäure (TFA), ein kurzkettiges PFAS, das als Abbauprodukt anderer fluorhaltiger Chemikalien entstehe. „Wir finden es heute im Regenwasser, im Grundwasser, im Wein – überall“, so Hofmann. Und: Es sei kaum mehr abbaubar. Besonders bitter: TFA wurde als Ersatzstoff für FCKW eingeführt, um andere Probleme – etwa die Zerstörung der Ozonschicht – zu lösen. Dieser Fall zeige exemplarisch, dass Ersatzstoffe zwar bestehende Umweltgefahren eindämmen könnten, dabei jedoch nicht selten neue, schwer kontrollierbare Risiken schafften, so Hofmann.
Auch Pestizide, sagte Hofmann, stünden beispielhaft für diese Ambivalenz. Sie seien unverzichtbar, um Erträge zu sichern – besonders angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung. „Damit sie gegen Schädlinge wirken, müssen sie natürlich giftig sein“, erklärte er. Genau deshalb schadeten sie in hoher Konzentration aber auch Ökosystemen. Und gelangten Rückstände in die Nahrung, könnten sie auch der menschlichen Gesundheit gefährlich werden. Eine mögliche Lösung sei der Griff zu Bioprodukten – „doch das müssen Sie sich auch erstmal leisten können“, gab Hofmann zu bedenken. Damit sprach er nicht nur über toxikologische Risiken, sondern auch über die soziale Frage gesunder Ernährung.
Trotz aller Warnungen schloss Hofmann mit einem versöhnlichen Ausblick. Die EU habe in den vergangenen Jahren Fortschritte gemacht. Die Menge risikobehafteter Pestizide sei bis 2022 um 46 Prozent gesenkt worden. Bis 2030 solle sie ein weiteres Mal halbiert werden.
Und er erinnerte an das, was man das Exposom nennt – die Summe aller Umweltfaktoren, denen ein Mensch im Laufe seines Lebens ausgesetzt ist, einschließlich chemischer, physikalischer, biologischer und sozialer Faktoren. „Nur 10 bis 20 Prozent aller Krankheiten sind genetisch bestimmt“, erklärte er. Der Rest: Umwelt, Lebensstil. „Jetzt stellen wir uns natürlich die Frage: Sind es die Umwelteinflüsse oder unser Lebensstil, die uns krank machen? Was haben wir in der Hand, was nicht?“
Podiumsdiskussion: Zwischen Frustration und Verantwortung
In der anschließenden Diskussion sprachen Giorgia Del Favero (Toxikologin und ECH-Mitglied, Universität Wien), Johann Steinwider (AGES), Helmut Burtscher-Schaden (Global 2000) und Thilo Hofmann mit dem Publikum über Risikoabschätzung, Kommunikation und Regulierungsmöglichkeiten.
Im Publikum war das Bedürfnis nach Orientierung groß. Viele Fragen spiegelten Frustration und Ohnmachtsgefühle – vor allem angesichts der schieren Zahl an Chemikalien und der für Laien oft unübersichtlichen Studienlage. Auch der Wunsch nach besserer Information der Konsument*innen wurde mehrfach geäußert.
Risikoüberwachung
Johann Steinwider von der AGES erklärte auf eine Frage aus dem Publikum, wie die AGES gefährliche Substanzen identifiziert, testet, überwacht und anschließend regulative Maßnahmen empfiehlt – von Grenzwerten bis hin zu Verboten. Das Thema Umweltschadstoffe sei für die AGES als One-Health-Organisation von zentraler Bedeutung, da es viele Bereiche gleichzeitig betreffe: von der Landwirtschaft über die Tierhaltung bis hin zur Lebensmittelproduktion und menschlichen Gesundheit. „Denn das, was in der Umwelt landet, betrifft früher oder später auch uns Menschen“, betonte Steinwider. Um Risiken wirksam zu reduzieren, arbeite die AGES eng mit Partnern wie dem Umweltbundesamt in Österreich und Institutionen auf EU-Ebene zusammen.
Sicherheit ist kein Endzustand
„Wir wissen heute mehr über Schadstoffe und haben bessere Kontrollen über die Sicherheit unserer Lebensmittel, auch Dank Organisationen wie der AGES“, erklärte Helmut Burtscher-Schaden von Global 2000, „Schadstoffe, die zum Beispiel durch die Zubereitung von Lebensmitteln entstehen, haben wir gut im Griff und auch in der Landwirtschaft gibt es mehr Bewusstsein über Schadstoffe als früher.“ Doch er warnte vor falscher Sicherheit: „Über die schon angesprochenen TFAs, die kleinsten Ewigkeitschemikalien, wussten wir bis vor Kurzem noch nichts – und jetzt finden wir sie in bereits besorgniserregenden Konzentrationen.“ Das zeige, wie wichtig die Beobachtung der Umwelt und Lebensmittel und die kontinuierliche Erforschung von Chemikalien und ihrer Risiken sei.
Gesundheitsrisiken durch Mikroplastik und Toxine
Toxikologin Giorgia Del Favero wurde vom Publikum zu gesundheitlichen Risiken befragt, die sowohl durch Mikroplastik als auch durch toxische Substanzen in Lebensmitteln entstehen können. Del Favero erklärte, dass auf zellulärer Ebene sowohl feste Substanzen wie Mikroplastik als auch chemische Toxine in z.B. gelöster Form spezifische Reaktionen und krankheitsauslösende Veränderungen in den Zellen hervorrufen könnten. „Besonders wichtig ist es, dabei zu verstehen, ob die Toxizität eines Stoffes auf seine chemische oder physische Form zurückzuführen sei”, so Del Favero, da dies Auswirkungen auf die Beurteilung und Regulierung von Umwelt- und Gesundheitsrisiken habe. Ob der Stoff natürlich oder synthetisch sei, spiele dabei keine Rolle, denn „entscheidend ist die Substanz, nicht ihr Ursprung”. Trotz dieser Herausforderungen sei die Lebensmittelsicherheit in Österreich sehr hoch, so die Toxikologin.
Ein kritischer Konsens
Immer wieder wurde aus dem Publikum nach der Rolle der Industrie gefragt, nach politischer Verantwortung, nach der Macht der Verbraucher*innen und der Möglichkeit, sich zu schützen. Hofmanns trockene Antwort: „Vor PFAS können Sie sich nicht schützen – sie sind überall.“ Viel zentraler sei dagegen die Frage: „Wie verhindern wir weitere Schadstoffe?“ Persistenz, also Nicht-Abbaubarkeit, müsse ein Ausschlusskriterium für neue Chemikalien sein. „Manche Stoffe gehören schlicht nicht in die Umwelt“, so Hofmann abschließend.
Was nach der Diskussion im Kopf blieb, war kein Gefühl der Sicherheit. Aber auch kein Pessimismus. Sondern ein Bewusstsein für eben diese Komplexität – und für die Notwendigkeit, im Gespräch zu bleiben: Denn wo über Grenzwerte, Expositionen und unbekannte Langzeitwirkungen gesprochen wird, geht es auch um den Umgang mit Unsicherheit – im eigenen Leben, im gesellschaftlichen Diskurs und im politischen Handeln.
Umwelt im Gespräch machte deutlich: Der Schutz vor Schadstoffen ist keine Aufgabe einzelner Disziplinen, Behörden oder Länder. Er ist ein gesellschaftliches und globales Projekt – eines, das Wissen, Regulierung und Dialog gleichermaßen braucht.
Eine neue und innovative Perspektive auf Schadstoffe und ihre Wirkung auf den menschlichen Körper bot die interaktive VR-Installation des Ludwig Boltzmann Institute for Network Medicine im Foyer des NHM.
Moderation: Marlene Nowotny
Graphic Recording: Kathrin Gusenbauer, Irrlicht-Impressions
Video-Produktion: Die Filmfritzen, https://www.dff.at
Text und Redaktion: Nora Gau, ECH-Redaktionsleitung
🛈 Das nächste Umwelt im Gespräch
“Nachhaltiges Leben: Zwischen Ideal und Realität”
11.11.2025, 18 bis 20 Uhr im Naturhistorischen Museum
- „Silent Spring“ von Rachel Carson: ein wegweisendes Sachbuch, das eindringlich die verheerenden Auswirkungen synthetischer Pestizide wie DDT auf Umwelt, Tiere und Menschen aufzeigt und damit den Anstoß für die moderne Umweltbewegung gab.
- Buchkapitel „Why Communicating Chemistry Can Be Complicated.“ von Todd Whitcombe (2019) im Buch „Communication in Chemistry“ (Herausgeber: G. L. Crawford, K. D. Kloepper, J. J. Meyers, R. H. Singiser, DOI: 10.1021/bk-2019-1327.ch014).
- 6. Umwelt im Gespräch zum Thema Exposom: „In der Chemikalien-Wolke“. Hier geht es zum Video. Die Keynote von Benedikt Warth (Bioanalytischer Chemiker, ECH-Mitglied) finden Sie hier.