In Zeiten akuter Krisen wie des Ukraine-Kriegs, der Inflation oder der Energiekrise stellt sich die Frage, ob der Klimakrise noch angemessen viel Bedeutung beigemessen wird. Ist Politik für die Umwelt in der Lage, sich den Problemen selbiger zu stellen? Hierzu diskutierten Expert*innen mit verschiedenen Perspektiven zum Thema beim letzten „Umwelt im Gespräch“ am 18.10.2022.

Die achte Ausgabe der Veranstaltungsreihe UMWELT IM GESPRÄCH fand am 18. Oktober 2022 wie eh und je in der Kuppelhalle des Naturhistorischen Museums statt. Die Podiumsdiskussion zum Thema „Umweltpolitik in der Krise?“ brachte diesmal vier Sprecher*innen mit verschiedenen Perspektiven aus Wissenschaft, Politik, Gesellschaft und Recht zusammen. Zum zweiten Mal seit Beginn der Pandemie konnte das Forschungsnetzwerk Umwelt erstmalige wie auch wiederkehrende Gäste begrüßen.

Katrin Vohland, Generaldirektorin des NHM, Thilo Hofmann, Leiter des Forschungsnetzwerks Umwelt und Manuela Baccarini, Vizerektorin der Universität Wien (von links nach rechts) richteten sich mit einführenden Worten an das Publikum in der gut gefüllten Halle.

Moderatorin Marlene Nowotny (Ö1) eröffnete die Gesprächsrunde über Fridays-for-Future-Österreich-Mitbegründerin Katharina Rogenhofer und ihre Einschätzung der aktuellen Umweltpolitik aus Sicht der Klimabewegung. Diese habe laut Rogenhofer international mobilisieren und Diskurse prägen können, leider sei man aber in Bezug auf Umweltpolitik „noch nicht genug vom Reden zum Tun gekommen“. Rogenhofer kritisierte die trotz der Ernsthaftigkeit der Klimakrise unzureichende Klimapolitik und wiederholte die Forderung, neue Formen von politischen Institutionen mitgestalten zu können, um nicht nur auf erfolgreiche Einflussnahme hoffen zu müssen. Als Beispiel gab sie fehlende Implementierungen aus dem Klimavolksbegehren an, für welches sie als Sprecherin fungierte.

Auch Daniel Ennöckl, Professor und Institutsleiter für Rechtswissenschaften an der BOKU Wien, fehlte trotz gestiegenem Umweltbewusstsein in der Bevölkerung die politische Übersetzung für den Klimaschutz. Dabei gebe es das klare Signal, dass „Ignoranz gegenüber Umweltpolitik von einem Großteil der Wähler*innen nicht mehr akzeptiert wird“. Ennöckl nannte weiterhin zwei notwendige Eckpunkte für eine effektive Umweltpolitik: Zum einen müsse der Ist- und Soll-Zustand der Umwelt deutlich gemacht und dabei wiederholt kommuniziert werden, dass die Klimakrise zu einer unbewohnbaren Erde führen wird. Gleichzeitig verlange es nach der klaren Botschaft, dass das derzeitige, globale Konsumverhalten nicht mit Klimaneutralität vereinbar sei.

Christian Holzer, Sektionschef für Umwelt und Kreislaufwirtschaft im Klimaschutzministerium, betonte die Rolle von Recycling für den Klimaschutz und bezeichnete den österreichischen Ressourcenverbrauch als umweltschädlich. Auf eine Frage aus dem Publikum, ob der Wachstumsgedanke weichen müsse, um in der Umweltkrise noch die Wende zu schaffen, bezog Holzer sich erneut auf das Potenzial der Kreislaufwirtschaft, ohne Verbote Fortschritte für den Klimaschutz zu erreichen. Gleichzeitig musste er feststellen, dass solche Fortschritte bei derzeitigem Ressourcenverbrauch schlussendlich nicht ausreichen würden und Verbrauchsregulierungen nötig seien.

Bezogen auf die Umsetzung von Klimaschutzforderungen verwies Holzer auf die Absicherung durch demokratische Legitimierung: Es könne keine direkte Umsetzung von der Straße ins Gesetz geben, auch zum Schutz vor Verbotspolitik und Populismus. Dass die Umweltpolitik in der Krise sei, könne er nicht unterschreiben, da es aus seiner Sicht in den letzten Jahren durchaus viele und facettenreiche Fortschritte gab. Katharina Rogenhofer war hingegen der Ansicht, dass sich die Politik zu oft hinter demokratischer Legitimierung verstecke und als Ausrede für langsame oder ausbleibende Klimaschutzmaßnahmen nutze.

Was also braucht die Politik hierzulande? Alice Vadrot sah hier ungenutzten Raum für wissenschaftliche Beratung. So könne Österreich progressive Politik machen. Sanktionen im Rahmen internationaler Umweltpolitik müssten laut Vadrot bewusst reflektiert werden, um abzuklären, wen die Sanktionen in welchem Ausmaß tatsächlich treffen würden, bevor sie gefällt werden. Katharina Rogenhofer erachtete Sanktionen als notwendig, da Freiwilligkeit erwiesenermaßen nicht funktioniert habe. Zum Thema Verzicht für den Klimaschutz argumentierte sie, dass die Gesellschaft unabhängig von der Umweltpolitik schon (unbewusst) auf so viele wichtige Dinge verzichten würde: Umweltschäden und Massenkonsum beeinträchtigen Lebensraum und Gesundheit und würden langfristig zu einer gravierenderen Form von Verzicht führen, als es eine effektive Klimapolitik je tun würde.

Zum Abschluss nannten die Sprecher*innen den ihrer Ansicht nach wichtigsten Aspekt für einen Systemwandel. Für Alice Vadrot war eine kritische Masse an Wähler*innen entscheidend, während Christian Holzer von der Notwendigkeit eines gesellschaftspolitischen Wandels und spezifischen Gesetzesreformen sprach. Katharina Rogenhofer unterstrich die Wichtigkeit von gesellschaftlichem Engagement und appellierte an die Allgemeinheit, gegen die Denunzierung von Klimaforderungen als Verbotspolitik aufzustehen. Daniel Ennöckl bestärkte ein fundamentales Recht auf Umweltschutz und ökologische Existenzsicherung für den Systemwandel.

Nach knapp eineinhalb Stunden ging die dynamisch geführte Diskussion zu Ende, entscheidend mitgeprägt von der aktiven Teilnahme des Publikums. Vielseitige Standpunkte und anregende Konfrontationen zum Thema „Umweltpolitik in der Krise?“ ließen ein offenes Fazit, vor allem aber interessante Lösungsansätze für eine effektivere Umweltpolitik zurück.

Graphic Recording

von VerVieVas